Master Thesis
Samad Fathi

Erstprüfer*in:
Prof. Eike Roswag-Klinge

Zweitprüfer*in:
Dr. Moritz Ahlert

Alle Inhalte
© Samad Fathi

Den Ausgangspunkt für diese Arbeit bilden erste Aushandlungsprozesse meiner Angehörigen über den Fortbestand eines geerbten Gebäudes in der marokkanischen Stadt Oujda im Osten des Landes. Dieser Gebäudebstand war einst Wohnraum der am Prozess beteiligten Akteurinnen und ist es auch heute noch für einige von ihnen. Viele Jahre wurde sich nicht mehr um den Zustand des Gebäudes gekümmert. Doch auch dieses Haus und dessen konstruktive Materie benötigen Maintanance und Pflegearbeit. Ich erinnere mich, wie ein Freund aus Erfoud damals im Sommer kam und meinen Tanten dabei half die Wände zu streichen, den Putz auszubessern und die Fugen und Risse in den Wänden zu schließen.

Projekt Dokumentation (PDF, 41MB)

Jetzt bröckelt der Putz und platzt von den Wänden. Die vielen verschiedenen Zellij-Fließen, die den Boden und die Wände dekorieren brechen auf und lassen die Struktur erahnen, der das Gebäude zugrunde liegt. Im Jahr 1962 wurde mit der Planung des Baus begonnen. 1963 stand der erste Bauabschnitt. Über die Jahre ist es gewachsen, veränderte sich und wurde geformt durch den Wandel der Bewohnerlnnenschaft. Auf Wachstum und Bedürfnisse wurde reagiert, erweitert und angebaut wo es nötig und finanziell möglich war. Dabei entstanden ist ein Hofhaus, eine introvertierte Typologie, die ein gesellschaftliches Abbild preis gibt. Von Außen nicht einsehbar, ordnen sich die einzelnen Räume entlang einer äußeren Mauer und erzeugen einen Hof und inneres Zentrum, der die Zimmer mit Licht und Luft versorgt. Über diesen Hof werden die Räume erschlossen. Eine kleine schmale Treppe erschließt vom Hof aus das Dach, welches mit einer hohen mauerhaften Attika vor fremden Einblicken geschützt werden soll. Das Dach ist aufgrund der Hitze ein wenig genutzter Ort, außer für die gelegentliche Haltung von Tieren, das Backen von Brot oder für das Aufhängen der täglichen Wäsche. Im Verlauf der Arbeit wird dieses Gebäude fortan als Haus 2 bezeichnet.

In den letzten 10 Jahren wurde die konstruktive Materie weitesgehend sich selbst, seiner Abnutzung und der Witterung überlassen. Es ist im Besitz von 9 Geschwistern und Erbe ist ein emotionales sowie finanzielles Thema. Ein Teil hält an dem Gebäude fest und möchte es instand setzen. Einige jedoch wollen das Haus verkaufen oder weiter mit dem Land auf dem es steht spekulieren. Das kann dazu führen, dass das Gebäude ohne geklärte Eigentumsverhältnisse verwahrlost und letztendlich Abgerissen wird. Dann wird mit Materialien neu gebaut, deren Einsatz an desaströse ökologische und soziale Folgen gekoppelt ist. Ein häufiger Anblick in Oujda sind Stahlbetonskelette, die mit Ziegeln oder Betonsteinen ausgefacht werden. Dem folgen dann oft Klimaanlagen, die zum Teil des Fassadenbildes werden. Zeitgleich zeigt sich in all den Jahren, in denen ich zurück komme und die Stadt fotografisch dokumentiere, ein Zuwachs von Neubaugebieten am Stadtrand, die sich durch ihr horizontales Flächenwachstum und die Stahlbetonskelettbauweise kennzeichnen.
Auch wenn ich nicht direkt an diesen Verhandlungen beteiligt bin, habe ich ein Interesse am Erhalt des Hauses meiner Angehörigen. Dieses Interesse hat verschiedene Dimensionen. Dazu zählen eine emotionale Verbundenheit zu diesem Raum, den ich seit meiner Kindheit kenne. Zudem ist meine Interesse durch meine Haltung als Architekturstudierender geprägt. An die Stelle einer Abriss-Neubau Praxis müssen nachhaltige und zeitgenössische Transformationen von Gebäudebeständen treten. Diese Haltung und dieses Interesse sollen den Ausgangspunkt für meine Untersuchungen von transformativen Prozessen im Gebäudebestand meiner Familie in Oujda bilden.

Diese Untersuchungen sind zutiefst geprägt von der eigenen Situiertheit innerhalb dieses Prozesses. Als teilweise involviert und widerum durch meine Haltung und Prägung als Studierender in Berlin und Sozialisierung in Deutschland außenstehend, finde ich mich innerhalb dieser Arbeit in einem Zwischenraum wieder. Dieser Zwischenraum steht in Relation zu migratorischen Wechselbeziehungen. Dazu zählt neben der transnationalen Migration von Remittances, Ideen oder Werten, auch der lokale Migrationsprozess meiner Familie im Verlauf des 20.Jahrhunderts. Diese Bewegung aus dem ruralen südlichen Teil Marokkos in den urbanen Raum Oujdas beinhaltet auch den Wandel von Material, Konstruktions-und Lebensweisen. Um mich geografisch zu situieren, habe ich während eines Fieldtrips vor Ort insgesamt 3 Gebäude im eigenen lokal-biographischen Umfeld analysiert und katalogisiert. Dabei war mir die Betrachtung von Konstruktionsweisen, typologischen Merkmalen, Transformationsprozessen und alltäglichen Rampraktiken innerhalb dieser Räume wichtig. Diese raumbildenden Praktiken sollten mir dann als Werkzeuge zur Entwicklung eines Entwurfsszenarios innerhalb des Gebäudebestands meiner Angehörigen dienen.

Haus 1 befindet sich im ruralen Umland Oujdas. Die Siedlungsstruktur ist hier stark aufgelockert. Lediglich von einer Straße können die einzelnen Gehöfte erschlossen werden. Haus 1 ist das älteste Gebäude der 3 analysierten Bauwerke. Es gibt einen großen zentralen Hof und 2 weitere nachgeordnete Höfe. Die einzelnen Raumeinheiten, die sich um die einzelnen Höfe organisieren sind jeweils einer Kernfamilie zugeordnet. Neben den klassischen Wohnfunktionen wie Küche, Wohnen, Badezimmer und Schlafzimmer sind auch immer noch Lager und Stallungen ein Teil der sich ergebenden Cluster. Das liegt primär an der landwirtschaftlichen Nutzung. An den Außenwänden der Höfe angegliedert sind die Stallungen für Schafe und Rinder. Diese werden außerhalb der Höfe gehalten. Die Wände wurden hier aus Lehm und Bruchsteinen ausgebildet. Die Deckenlagen variieren zwischen Holztägern mit Wellblech oder grob beschlagenen Baumstämmen auf denen dann wieder eine Schicht Reet oder Bretterschalung folgt, die mit einer Kalkgips und Lehm-Stroh-Mischung abschließt.
Haus 2 wurde in den 60er Jahren von meinem Großvater erbaut. Es befindet sich in der dichten urbanen Innenstadt Oujdas. Seit dem Baubeginn 1963 wurde das Haus stetig transformiert und erweitert. Je nach Bedürfniss und finanziellen Mitteln wurden neue Wohnräume hinzugefügt und das Dach als Nutzfläche für den Haushalt und die Lagerung von Materialien erschlossen. Die letzten Eingriffe geschahen vor etwa 20 Jahren. Dabei wurde der Putz erneuert und die Wände gestrichen. Der Gebäudezustand hat sich in den letzten Jahren jedoch verschlechtert. Aufgrund der ungeklärten Eigentumsverhältnisse ist eine Sanierung komplizierter geworden. Die Wände des Gebäudes sind aus Zement, Bruchsteinen und Betonsteinen errichtet. Die Deckenlage wurde als Ziegeldecke zwischen Stahlträgern und einer Stahlbetondeckung ausgeführt. Der Boden ist mit Fließen gedeckt. Diese Fließen sind mittlerweile brüchig und müssen wie der abfallende Putz erneuert oder transformiert werden. Auf dieses Gebäude bezieht sich das entworfene Szenario innerhalb dieser Arbeit
Haus 3 ist im Besitz meines Onkels, der hier mit meiner Tante und ihren beiden Kindern lebt. Es hat insgesamt 3 Geschosse und eine Dachterasse. Im Erdgeschoss befindet sich eine großzügige Garage und Lagerfläche. Im ersten Obergeschoss ist eine Wohnung mit mehreren Zimmern, einer Küche, einem Bad und einem Salon für den Empfang von Gästen und zur Ausrichtung von Feiern. Der besonders tiefe Grundriss wird durch ein Patio mit zusätzlichen Licht versorgt und kann ebenfalls als Interpretation des Hofs gelesen werden. Im 2. Obergeschoss wiederholt sich der Grundriss erneut und würde als eigenständige Wohneinheit funktionieren. Der Grundriss wird durch ein Stahlbetonstützenraster definiert. Die Decke wird mit Stahlbetonunterzügen abgetragen und die Wände wurden durch Ziegel ausgefacht. Dadurch ist ein konstruktiver Rahmen vordefiniert. Hier wird auf traditionelle Materialien und Ressourcen verzichtet und es kommen primär fossile Baustoffe wie Ziegel, Beton, Stahl und Glas zum Einsatz. Die Dachterasse wird wie in Haus 2 als Haushaltsfläche und Lagerfläche genutzt.


Der erste Teil des Szenarios handelt von Veränderungen, Transformationen und Implementationen innerhalb der vorhandenen Struktur, die selbst auf der Idee der stetigen Erweiterung und Anpassung beruht. Dabei wird insbesondere der Begriff der Reperatur betrachtet und das inhaltliche Potential des “Schadens”, dessen Reflexion eine Vielzahl an gestalterischen Möglichkeiten freisetzt. Die Ergebnisse aus der ersten Transformationsphase sollen die Wohn-und Raumqualität verbessern und neue Nutzungen ermöglichen. Sie schaffen die Grundlage für weitere Veränderungen indem sie situativ andere oder weitere Nutzungsszenarien ermöglichen. Die erste Phase mündet in nachhaltigen Erneuerungen und Instandsetzungen und insziniert das Gebäude, als gelungene Transformation.

Im zweiten Teil des Szenarios stehen die Weiternutzung und Reaktivierung eines Wohnraums im Vordergrund. Im positiven Verlauf des Erzählstrangs entfaltet das Projekt auch innerhalb der Nachbarschaft eine referentielle Wirkung, für eine geglückte Nach-und Weiternutzung, als auch für den Einsatz neuer ̒alter” Materialien. Dadurch verlässt das Projekt den privaten Rahmen und wirkt sichtbar durch eine Aufstockung in den urbanen Raum hinein, wodurch die Nachbarschaft zum reflektiven Ort für architektonische Aushandlungsprozesse wird.

With: Samad Fathi