Konsortium:
FG Entwerfen und Konstruieren – Verbundstrukturen
Prof. Dr.-Ing. Volker Schmid (Projektleitung und Ansprechpartner) 
Jonas Bonhage
Daniel Wichmann

FG Tragwerksentwurf und -konstruktion
Prof. Dr.-Ing. Kerstin Wolff
Jonas Müller
Sophie Blochwitz

Natural Building Lab – FG Konstruktives Entwerfen und Klimagerechte Architektur
Prof. Eike Roswag-Klinge  
Julian Mönig
Sina Jansen

gefördert durch:
Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)

Aktenzeichen DBU: 38392/01
Abschlussbericht: https://www.dbu.de/projektdatenbank/38392-01/

Laufzeit Stufe 1: 01/23 – 09/23

Zur Erreichung der Klimaziele im Bausektor bis 2050 bedarf es einer radikalen Transformation der Art, in der gegenwärtig geplant und gebaut wird. Vor dem Hintergrund schwindender Ressourcen und den ökologischen Negativwirkungen der Herstellung von neuen Baumaterialien kommt der hochwertigen Wieder- und Weiterverwendung von Baustoffen und Bauteilen eine besondere Bedeutung zu. Für die Erreichung einer Kreislaufbauwirtschaft müssen die Inanspruchnahme von Rohstoffen maßgeblich reduziert, Lebenszyklen von Ressourcen, Bauteilen und ganzen Gebäuden längst möglich gestaltet und Abfall fast gänzlich vermieden werden. Hierfür sind im Bausektor radikale Innovationsschübe auf allen Ebenen notwendig – von der Material- und Bauteilentwicklung aus wiederverwendeten Materialien bis hin zur kreislaufgerechten Konzeption ganzer Gebäude.
 
Das Forschungsprojekt „Neubau des Museums-Pavillons der TU Berlin als Reallabor-Bauen“ verfolgt das Ziel, das große Potenzial bestehender Sekundärbaustoffe und -produkte im anthropozänen Lager effizient auszuschöpfen und dafür notwendige, bislang fehlende Rahmenbedingungen zu erforschen und zu schaffen.

Forschungsgebiet kreislaufgerechte Altholznutzung 
Foto: Natural Building Lab

Gemäß einer Studie des Umweltbundesamtes werden die ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile des Materialrecyclings und der Nachnutzung ganzer Bauteile bislang nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Beim Abbruch bzw. Rückbau anfallende mineralische Baustoffe werden größtenteils verwertet, allerdings nur zu einem Bruchteil in hochwertiger Form als Substitution in Primärbaustoffen. Andere anfallende, nicht mineralische Bauabfälle wie Kunststoffe und Holz werden primär thermisch und in nur wenigen Ausnahmen stofflich verwertet. Der vermehrte Einsatz von Baustoffen in Materialverbünden macht eine sortenreine Trennung zur Weiterverwendung nach derzeitigem Stand unmöglich.

Kern des Forschungsvorhabens sind die Konzeption und Entwicklung von innovativen Tragsystemen, optimiert für die Herstellung aus wiederverwendeten Rohstoffen, die eine sortenreine Trennung und spätere Wiederverwendung vereinfacht ermöglichen. Für die Umsetzung dieser Ansätze abseits gängiger Standards bedarf es neben technischen Innovationen auch Anpassungen auf prozessualer Ebene: Herkömmliche Prozesse von der Forschung über die Entwicklung bis zur Umsetzung sind an vielen Stellen nicht mehr praktikabel, um die notwendige Geschwindigkeit der Transformation des Bausektors zu erreichen. Die direkte Zusammenarbeit von Forschung und Praxis für einen beschleunigten Wissenstransfer ist dafür von besonderer Bedeutung. Hierfür fehlt es in der Baupraxis an methodischen Rahmenbedingungen.

Das Forschungsprojekt kooperiert mit dem Realisierungsvorhaben „Museums-Pavillon“ der Technischen Universität Berlin, in dem die erforschten Bauteile aus Sekundärmaterialien in die Planung integriert und baulich umgesetzt werden. Durch die enge Kooperation dieses Forschungsvorhabens mit dem Realisierungsprojekt wird ein neuartiger Reallabor-Ansatz für das Planen und Bauen in planetaren Grenzen formuliert und erprobt. Diese besondere Konstellation ermöglicht die Entwicklung und erstmalige Umsetzung eines zukunftsweisenden Pilotprojekts für einfaches, schadstofffreies Bauen in Holz, das Abfall fast gänzlich vermeidet. Durch ein klimaangepasstes Design, die Entwicklung zirkulärer Bausysteme unter Einsatz wiederverwendeter Materialien sowie ein innovatives Low-Tech-Konzept entsteht ein kreislaufgerechtes, klima- und ressourceneffektives Gebäudeprinzip.

Konsortium und Netzwerk des Forschungs- und Realisierungsvorhabens.

Die Wiederverwendung von Ressourcen im Bausektor findet aufgrund der aktuellen Rechtslage nur von ausgewählten Gebäudekomponenten wie bspw. dem Innenausbau, Fassaden und Mobiliar statt. Diese machen allerdings nur einen geringen Anteil der in der gebauten Umwelt gebundenen Ressourcen aus. Vor allem tragende Bauteile müssen per Gesetz zumeist aus neuen Materialien oder mit nur sehr geringen Recyclinganteilen realisiert werden. Gleichzeitig machen diese ressourcenintensiven Bauteile einen Großteil der jährlich anfallenden Bauabbruchabfälle aus. Dem Ingenieurholzbau kommt im Bauwesen zum Erreichen der Klimaziele eine besonders bedeutende Rolle zu. Im Holzbau wird bis dato annähernd ausschließlich neues Schnittholz verwendet. Das Forschungsvorhaben treibt deshalb die Verwendung innovativer Tragwerkskonzepte voran, bei denen hauptsächlich Holz aus Bau- und Abbruchabfällen zum Einsatz kommt und die zudem mittels reversibler Verbindungsmittel vollständig rückbau- und wiederverwendbar sind.

Der Verzicht bzw. die signifikante Reduktion des Betons durch die innovative Gründungsart stehen im starken Gegensatz zur aktuell gängigen Baupraxis, bei der Fundamente standardmäßig ressourcenintensiv aus Stahlbeton ausgeführt werden. Mithilfe der im Rahmen dieses Forschungsvorhabens vorgestellten Art der Gründung kann bestehender Grünraum weitgehend erhalten und die Bauteilkomponenten deutlich einfacher rückgebaut und gleichwertig wiederverwendet werden. Zusätzlich werden Baustellen- und Abbruchabfälle minimiert bzw. vorgebeugt, die üblicherweise anfallen.

Der Fokus des Forschungsprojekts liegt somit auf der Produktion von tragenden Bauteilen aus lokal verfügbaren, wiederverwendeten Altholz-Bauteilen aus Berliner Bau- und Abbruchabfällen sowie der ökologischen Optimierung der klassischen Gebäudegründung durch die Entwicklung von beton- und stahlarmen Fundamenten aus Recycling-Materialien. Dieser Ansatz geht über herkömmliche Urban Mining-Konzepte hinaus und stellt eine innovative Antwort auf die großen Herausforderungen im Bauwesen dar. Besonders hervorzuheben ist dabei die Wiederverwendung von Altholz in einem Neubauvorhaben und in tragender Funktion.

Die oben beschriebenen Themenfelder werden im Rahmen des Forschungsprojekts in vier Aufgabenbereiche aufgeteilt. Alle Aufgabenbereiche beschäftigen sich mit konkreten Fragestellungen des Realisierungsprojekts Museums-Pavillon, geben aber gleichzeitig Antworten auf allgemeine, gegenwärtig relevante Fragen der Kreislaufwirtschaft, wie sie täglich im Zuge zahlreicher Neu- und Umbauvorhaben auftreten.

Arbeitspaket 01 – Altholzgewinnung (TEK, NBL)
Der Aufgabenbereich der Altholzgewinnung beschäftigt sich mit der Frage, wie Altholz auf einer praktischen Ebene in tragender Funktion wiederverwendet und dadurch mit geringstmöglichem Downcycling im Stoffkreislauf erhalten bleiben kann. Insbesondere relevant ist dafür, was die gegenwärtige Rechtsgrundlage in Bezug auf die Wiederverwendbarkeit von Holz ist. Weiterhin spielt für die Wiederverwendung als Tragwerk die Einsortierung des Holzes in Sortier- und damit Festigkeitsklassen eine entscheidende Rolle. Da es für Altholz kein festes Regelwerk und nur wenige vorherige Forschungsergebnisse für die Festigkeitssortierung gibt, werden hier verschiedene Verfahren erprobt und verglichen. Schließlich ist es das Ziel dieses Aufgabenbereichs, einen möglichst allgemeingültigen Ablauf zu beschreiben, mit dessen Hilfe Planer:innen und Bauherr:innen in der Lage sind, Altholz in Ihren Bauvorhaben zum Einsatz zu bringen.

Stand der Technik – Kreislaufgerechter Einsatz von Altholz (links) und vorgeschlagener, optimierter kreislaufgerechter Einsatz von Altholz (rechts). ©FG TEK, TU Berlin

Arbeitspaket 02 – Kreislaufgerechte Altholznutzung (EKV)
Der Aufgabenbereich der kreislaufgerechten Altholznutzung im Tragwerksentwurf knüpft an die oben beschriebene Fragstellung der Altholzgewinnung und -bereitstellung an: Was ist im Rahmen des Tragwerksentwurfs, hier mit Fokus auf dem Realisierungsprojekt, zu beachten, um möglichst flächendeckend Altholz einsetzen zu können? Die wichtigsten Fragestellungen sind dabei einerseits, welche Querschnitte und Geometrien in Altholz zur Verfügung stehen und welche Tragwerkstypologien daher im Neubau zum Einsatz kommen sollten, und andererseits, wie Knotenpunkte und Fügungen im Holzbau derartig optimiert werden können, damit eine bestmögliche Rückbaubarkeit und Wiederverwendbarkeit der Querschnitte garantiert werden kann.

Studien zu weinspannenden Trägertypologien in Holz-Holz Verbindungen und minimalem Stahlanteil. Links: Strebenfachwerk mit diagonalen Druck- und Zugstreben aus Holz, rechts: mit diagonalen Zugstreben aus Stahl und Druckstreben aus Holz. Unten: Studie zu rückbaubaren, stahlarmen Fachwerkknoten. ©FG EKV, TU Berlin

Arbeitspaket 03 – Beton- und Stahlarmen Gründung (TEK)
Der Entwurf des Museums-Pavillons sieht vor, dass Fundamente zum Einsatz kommen, die sowohl auf wiederverwendete Materialien zurückgreifen als auch möglichst rückbaubar sein sollen. Mit den damit verbundenen Fragestellungen beschäftigt sich der Aufgabenbereich der beton- und stahlarmen Gründung. Konventionelle Fundamente von Hochbauten werden heutzutage fast ausschließlich aus Stahlbeton gefertigt und nur in Ausnahmen wiederverwendet – bzw. ist die Wiederverwendung mit einem großen Energieaufwand und massiven Downcycling verbunden. Um im Realisierungsprojekt innovative, beton- und stahlarme Fundamente zum Einsatz bringen zu können, werden zwei alternative Varianten von Einzelfundamenten hinsichtlich ihres vertikalen Lastabtrags untersucht. Dabei stehen vor allem Fragen der inneren Standsicherheit im Mittelpunkt.

Gründung aus rundem Stahlkorb mit wiederverwendeten Bruchsteinen.
(a) Unterkonstruktion des Hochbaus
(b) Schubknagge, Anschluss mit überstehenden Stirnplatte
(c) Umschnürung
(d) Vertikale Stabeisen
(e) Spannschloss zum Vorspannen der zugehörigen Umschnürung (c)
(f) Mutter + Unterlegscheibe zum Vorspannen
(g) Orthogonale Doppelstabeisen
(h) Füllmaterial
T = Einbindetiefe / D = Außendurchmesser Stahlkorb
©FG TEK, TU Berlin

Arbeitspaket 04 – Kreislaufgerechte Planung, Realisierung und Bewertung (NBL)
In dem Forschungsgebiet „Kreislaufgerechte Planung und Realisierung, Bewertung“ steht die Ableitung übertragbarer Leitlinien zur Umsetzung kreislaufgerechter Reallabore im Bausektor auf Grundlage der Forschungsergebnisse und die Bewertung der veränderten Umweltauswirkung durch den Einsatz wiederverwendeter Materialien in translozierbaren, tragenden Bauteilen im Fokus. 

Zur Stärkung kreislaufgerechter Ansätze und Legitimation des aktuell noch notwendigen Mehraufwandes für das Planen und Bauen mit wiederverwendeten Materialien braucht es adaptierte Bewertungsansätze, um die Vorteile der Wiederverwendung für eine nachhaltige Planungspraxis messbar zu machen. Die meisten etablierten Instrumente zur Ökobilanzierung (LCA) sind jedoch nicht geeignet, um die Umweltauswirkungen eines Gebäudes zu beurteilen, dessen Komponenten wiederverwendet sind und/oder in zukünftigen, noch nicht geplanten Gebäuden wiederverwendet werden können. Für langlebige Bauteile, die über mehrere Nutzungszyklen hinweg eingesetzt werden können, braucht es einen anderen Berechnungsansatz, der die Verzögerung der CO2-Emissionen rechnerisch berücksichtigt und wertschätzt. Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung eines mehrdimensionalen Bewertungskonzepts unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen und Umweltfolgekosten (LCA und LCC), der Ressourceneffizienz (VDI 4800), der zirkulären Materialnutzungsraten CMU oder Rezyklateinsatzquote, des Zeit- und Kostenaufwandes sowie der baupraktischen Umsetzung. In der ersten Stufe des Vorhabens wurde eine vergleichende Analyse in der Wissenschaft bestehender Ansätze zur Berechnung der Ökobilanz wiederverwendeter Materialien und Bauteile in Anlehnung an die LCA gemäß DIN EN 15978 erstellt und auf die verschiedenen Bauteilvarianten des Forschungsvorhabens angewendet. Daraus wurde ein eigener Ansatz abgeleitet, der die entwickelten Bauteile – bestehend aus Materialien in unterschiedlichen Nutzungszyklen – bestmöglich erfasst und auf dieser Grundlage im Vergleich zu konventionellen Bauteilen bewertet.

Darstellung der Ergebnisse der Ökobilanz für das Treibhauspotenzial der Gründungsvarianten und der Trägervarianten.
Grün: Konventionelle Referenz-Bauteile; Blau: Bauteil-Varianten aus dem Forschungsprojekt ©FG NBL, TU Berlin

With: Daniel Wichmann, Eike Roswag-Klinge, Sina Jansen, Sophie Blochwitz